Ps.- Aristoteles: Chiromantie

Aus Artesliteratur
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Die Chiromantie des Pseudo-Aristoteles ist eine deutschsprachige Chiromantie, die in zwei Handschriften überliefert ist. Der frühste Beleg der Chiromantie stammt aus dem Jahr 1425. Der Text beginnt in der älteren Handschrift Salzburg, Universitätsbibl., Cod. M I 36, fol. 36r–38v mit den Worten De manus linearum. Nu hat des menschen hant zweierleye linigen und in Rom (Vatikanstadt), Bibl. Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 1456, fol. 98v, 99v, 100r–110v mit Sus spricht der wise Aristoteles das die ku̇nste geteilett werdent als ander ding.

Der Text ist teilweise eine Übersetzung der lateinischen pseudo-aristotelischen Chiromantia VI[1] und verknüpft wie diese die Chiromantie stark mit der Astrologie bzw. Planatenkinderlehre. Jedem Planeten werden dabei nicht nur bestimmte Teile der Hand, sondern auch bestimmte figurn, die sint geschaffen in der forme als caracherus (Cod. M I 36, fol. 38r), zugeordet. Die beiden Textereignisse überliefern unterschiedliche Fassungen des Textes (R und S), wobei Cod. Pal. lat. 1456 (= R) den vollständigeren und an einigen Stellen auch grammatisch und lexikalisch korrekteren, also besseren Text bietet. Nur diese Fassung R suggeriert über ein am Textanfang eingebundenes Zitat die Autorschaft des Aristoteles: Sus spricht der wise Aristoteles das die ku̇nste geteilett werdent als ander ding. Gerahmt wird diese Fassung zu Beginn und Ende zudem durch Metaäußerungen über die Aussagekraft der Chiromantie, die nur die neygunge des Menschen angebe könne, während die Zukunft tatsächlich aber von Gott abhängig sei. Da dieser Gedanke (Chyromantia est ars cognoscendi inclinationes ...) ebeneso wie das diese Fassung einleitende Aristoteleszitat (Secantur scientiae inter se quemadmodum et res ex quibus sunt) aus der lateinischen Vorlage stammt, ist davon auszugehen, dass diese Rahmung mit dem Text entstand und in der im Cod. M I 36 fassbaren Fassung S bewusst ausgelassen wurde.

Überlieferung

Rom (Vatikanstadt), Bibl. Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 1456, fol. 98v, 99v, 100r–110v

= Fassung R

Informationen zum Textereignis
Digitalisat https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1456/0216/image,info,thumbs
Online-Information https://handschriftencensus.de/18466

http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/schuba1992/0321

Entstehungszeit 15. Jh
Entstehungsort Südwestdeutschland
Illustrationen Zwei Handzeichnungen mit deutschen Erläuterungen (98v, 99v) als

Ergänzungen zur Ps.-aristotelischen ›Chiromantie‹: 98v ganzseitige, rot schraffierte Abbildung

einer linken Handinnenfläche mit deutscher Beschriftung in Rot und Schwarz, 99v Kopie von 98v ohne

Schraffur mit roter Beschriftung. Die Zeichnungen bieten Informationen zu den vier Handlinien, der

Zuordnung der Finger zu den Planeten und der Bedeutung verschiedener kleiner Zeichen

auf der Hand.

Salzburg, Universitätsbibl., Cod. M I 36, fol. 36r–38v

= Fassung S

Informationen zum Textereignis
Digitalisat https://manuscripta.at/diglit/AT7400-MI36/0071
Online-Information https://handschriftencensus.de/12527

https://manuscripta.at/?ID=8141

https://manuscripta.at/_scripts/php/cat2pdf.php?cat=SBUB&ID=8141

Entstehungszeit 1425
Entstehungsort Laubach/Wetterau
Schreiber Konrad von Butzbach[2]
Illustrationen Federzeichnung einer linken Handinnenfläche mit deutscher Beschriftung.

Die Zeichnung bietet Informationen zu den vier Handlinien, der Zuordnung

der Finger zu den Planeten und der Bedeutung verschiedener kleiner Zeichen

auf der Hand. Diese Handzeichnung wird auch in Nr. 103a.3.4. zusammen mit

dem Text der ›Chiromantie‹ des Ps.-Aristoteles überliefert, obwohl in

Handzeichnungen und Text unterschiedliche Termini benutzt werden.

Text

Die beiden Textereignisse in Cod. Pal. lat. 1456 und Cod. M I 36 stimmen im Wortlaut nicht immer überein. Ich nehme aber an, dass diese zwei Realisationen desselben deutschsprachigen Textes sind. Die synoptische Gegenüberstellung der ersten Sätze beider Textereignisse zeigt, dass der Cod. Pal. lat. 1456 den vollständigeren und an einigen Stellen auch grammatisch und lexikalisch korrekteren, also besseren Text überliefert.

Synoptische Transkription des Textanfangs

Cod. Pal. lat. 1456 (Fassung R) Cod. M I 36 (Fassung S)
De manus linearum 22
Sus sprichet der wise Aristoteles das die ku̇nste geteilett werden als ander ding, dar vmbe dise gegenwu̇rtige kunst ist ouch geteilet in vil stu̇cke.
Doch so ist zü wissen das von diser kunst nu̇t ist zü halten, danne nach der neygunge .
Obe aber dise neygunge zü wercken kumme, das ist allem got behalten vnd bekennen.
Nü hat di hant des menschen zweigerhande lyngen: die ersten sint nattu̇lich. Nv hat des menschen hant zweierleye linigen: die erste sint naturlich.
Die andern sint zwifelich oder züfellig, die man vnder wilen siht in [fol. 100v] vnd die ouch schiere vergont, Die andern sint zwifelich oder felich, als man acht in dieser künste, die man vnderwiln siechet in der hant vnd schier vergent,
also die sint, die von frost, hunger, durst, hicze kummet vnd des glichen. als die da sint von froste, hünger vnd dorste vnd des gelichen
Aber der selben züffelligen linigen ahtet man nit in diser kunst. oder der zu fallenden linigen.
Nü sint vnder den nattu̇rlichen lynigen vier lyngen, die allen lu̇ten gemeyn sint. Nv sint der naturlichen linigen 4, die allen luden gemeyne sint.
Die erste lynie heisset des lebens linie, wanne bẏ diser linigen man briefet, wie lang des menschen leben weren sol. Dier erste heißet des lebens linige, wan man da by des menschen leben fint.
Vnd fohet die selbe linyge an zwischen dem dumen vnd dem zöiger vnd get her abe gegen dem arm. Vnd die linige fahit an tuschen dem dümen vnd dem zeiger vnd get her abe gegen dem armen.
Vnd sprechent die erczete, die dise linyge heisssent, die hertze linyge. Vnd sprechent die ertze das die heiße die hertze linige.
Vnd das teil der hant, das zwu̇schent diser lynigen ist [fol. 101r] vnder dem dumen, das heisset der dumen berg. Vnd der dalle der hant, das tiuschen der linige ist vnd tuschen dem dumen, das heißet der dumen bergke.

Forschungsliteratur

  • Frank Fürbeth, Das Johannes Hartlieb zugeschriebene 'Buch von der Hand' im Kontext der Chiromantie des Mittelalters, in: ZfdA 136 (2007), S. 449–479, hier S. 476.
  • Marco Heiles, Prognostiken (Nr. 103a.), in: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, begonnen von Hella Frühmorgen-Voss und Norbert H. Ott, hg. von Ulrike Bodemann, Kristina Freienhagen-Baumgardt, *Pia Rudolph und Nicola Zotz, Bd. 10 (Pilgerbücher - Rechtsspiegel, Rechtsbücher), München 2023.
  • Roger A. Pack, Pseudo Aristoteles, Chiromantia, in: Archives d'histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 39 (1972), S. 189–241. [Nur zur Vorlage]
  • Ludwig Schuba, Die Quadriviums-Handschriften der Codices Palatini Latini in der Vatikanischen Bibliothek (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg II), Wiesbaden 1992, S. 287–289.
  • Anna Jungreithmayr unter Mitarbeit von Josef Feldner und Peter H. Pascher, Die deutschen Handschriften des Mittelalters der Universitätsbibliothek Salzburg (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Denkschriften 196; Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters III, 2), Wien 1988, S. 8–19.
  • William C. Crossgrove, Konrad von Butzbach, in: 2VL 5 (1985), Sp. 153-155 + 2VL 11 (2004), Sp. 876.

Anmerkungen

  1. Vgl. Fürbeth, Frank: Das Johannes Hartlieb zugeschriebene ›Buch von der Hand‹ im Kontext der Chiromantie des Mittelalters. In: ZfdA 136 (2007), S. 449–479, hier S. 476.
  2. Konrad von Butzbach nennt sich auf dem Vorderspiegel (fol. 1v) selbst als Schreiber und Verfasser/Kompilator der Handschrift: Ego conradus de boucenbach medicus … han ich gesümet vnd zu hauff bracht dis buch uß allen vorreden vnd bewisunge vnd  erfarunge der vordrigen naturlichen meister … vnd ist vollen ent zu laupauch Anno domini 1425 Jar. Vgl.: William C. Crossgrove, Konrad von Butzbach, in: 2VL 5 (1985), Sp. 153-155 + 2VL 11 (2004), Sp. 876